Als ich heute morgen erwachte, schwirrten noch die letzten Phrasen von menschentötenden Autos und knochenbrechenden Bussen durch meinen Kopf und mit einem letzten Zittern schüttelte ich auch jenes Automobil von meinem Ohr, welches sich doch so herzhaft darin verbissen hatte.
"Na prima", waren die meinigen Gedanken, "meine Prüfung ist erst in knapp 3 Stunden und trotzdem zitterst du schon..."
Galant und kein Stück überheblich schwang ich mich aus meinem Bett, stolperte in die Hose, knallte mir zwei Toast in den Toaster, aß einen, übergab mich fast in das Klosett und beschloss anschließend, lieber irgend etwas beruhigendes zu machen, bevor ich den erneuten Versuch der Nahrungsaufnahme starten sollte.
Leider war es Mister Time, der an die Tür klopfte und mich mit gebieterischer Stimme zwang, die Wohnung zu verlassen.
So pendelte ich mit einem flauen Gefühl in der Magengegend zuerst zum Lehrerzimmer meiner Schule, wo ich das ach so sorgfältig hergestellte Kunstprojekt in ein Fach meiner Wahl schleudern ließ und schritt erst anschließend zügig in Richtung Fahrschule.
Der Herr Zeit hatte es gut mit mir gemeint und mich einiges früher als gedacht aus seinem Taxi gelassen, sodass ich gute fünf Minuten hatte, um noch kurz mein aktuelles Lieblingslied über die Sony Ericsson-Kopfhörer in mein Gehirn dröhnen zu lassen (es ist übrigens White Storm von Ensiferum).
Doch mit dem letzten Beckenschlag war es auch schon Ron, der mir in das Gesicht grinste und irgendetwas zu sagen versuchte, doch leider verstand ich durch diese Ohrstöpsel einfach kein Wort. Nun, eine Befreiungsaktion, ne knappe Begrüßung und einem liebevollen Fausttausch später war ich es dann, der an dem Steuer des Golfs saß und immer noch innerlich aufgewühlt die Außenspiegel einstellte.
Und dann habe ich alles gerissen, verpatzt, abgewürgt und versemmelt, was man sich bei einem Fahrschüler vorstellen kann. Und das ist echt ne Menge.
Ein Buch, welches mir gerade so vorliegt, fasst einen Begriff recht passend zusammen:
Abwürgen, das: Fähigkeit, die Anfänger bis zur Perfektion beherrschen, speziell mitten in der Kreuzung ... Die anderen Autofahrer spenden daraufhin stets beifall per Hupkonzert.
Nun, ich probierte mit angezogener Handbremse anzufahren, schaltete das Fernlicht anstatt des Blinkers ein, erschreckte zwei Kinder, spülte ungewollt die Scheiben, probierte in Sackgassen, Einbahnstraßen falschherum, in Fußgängerzonen oder auch in "Für Autos verboten"-Zonen zu fahren, schaffte es vier Mal den Gang nicht richtig einzulegen und den Motor verrecken zu lassen, verschlief eine Grünphase, übersah eine durchgezogene Linie, probierte an einem Bahnübergang zu überholen und parkte so grottig ein, dass ich gleich auf der Straße hätte stehen bleiben können.
Rons Kommentare und Lobgesänge fielen ebenso karg aus, wie meine Fahrkünste am heutigen Tag erschienen.
Und als ich es endlich auf dem TÜV-Gelände zum Stillstand geschafft hatte, war es wie das Sahnehäubchen auf einer fetten Torte, als der Prüfer, der zielstrebig unser Auto aufsuchte, sich Ron beiseite nahm und eine Viertelstunde sich erst einmal mit letzterem stritt.
Fahrlehrer, der: [...] Seine Qualitäten kommen erst bei der Fahrprüfung zum Vorschein: Der ideale Fahrlehrer versteht es meisterhaft, den hinten sitzenden Prüfer in abstruse Gespräche zu verstricken und derart abzulenken, dass dieser gar nicht merkt, welchen Stuss der Prüfling zusammenfährt, sondern anschließend freudig zur bestandenen Fahrprüfung gratuliert.
So steht es geschrieben. Doch was ist der Fall, wenn es der Fahrlehrer ordentlich mit dem Fahrprüfer versemmelt hat?
Richtig.
Keine Ablenkung.
Blanke Aufmerksamkeit.
Der eiskalte Blick des Prüfers auf den aufgestellten Nackenhaaren.
Und nach einer weiteren Viertelstunde des Wartens und Hoffens war ich an der Reih.
Fast wie tiefster Sarkasmus bohrte sich der mit einem Lächeln begleitete Händedruck in mein Herz und hinterließ dieses Gefühl der Unbehagnis.
Und ich musste losfahren.
Runter von dem TÜV-Gelände und raus in die große, weite, gefährliche Welt...
!--! spannendes Musikintermezzo !--!
Blinker setzen, bremsen, umschauen. Runterschalten, anfahren, abbremsen um vor den Laster schauen zu können. Anfahren, bremsen. Abwarten, bis Autos vorbei sind. Anfahren, einlenken, stehen. Blinker nachsetzen, anfahren, dreifach absichern und links rum. Zweiter Gang. Gas. Dritter Gang. Gas. Blinker nach links zwecks Fahrstreifenwechsel, Innenspiegel, Außenspiegel und Schulterblick, rüber. Gas. Bremsen. Leerlauf zwecks Fußentspannung. Auf dem Lenkrad mit den Fingern trommeln, eine Melodie summen, dann den stechenden Blick des Prüfers durch den Rückspiegel auffangen. Schweigen. Erster Gang, anfahren. Zweiter Gang, über die Kreuzung, in die Zone 30.
Links, links, geradeaus, rechts, aufpassen, blinken, ausweichen, Fahrad vorbeilassen.
Bis jetzt kein Kommentar des Prüfers.
Blick zu Ron. Guckt grimmig. Gut? Gas. Um die Grünfläche fahren, rechts abbiegen. Ende Zone 30. Dritter Gang. Gas. Vierter Gang. Bremsen. Ampel.
"Links abbiegen bitte."
Einordnen. Grün. Pfeilampel? Keine Ahnung, abbremsen und schauen, schauen, schauen.... Nickerchen... schauen, schauen - Gas.
Zweiter Gang, Gas, dritter Gang, Gas, vier--- doch dritter und rollen lassen. Ampel. Abbiegen, wieder rechts. Autobahnbeginn. Bleifuß. Dritter, Vierter Gang. Rauf bis 90 km/h, dann fünfter Gang. Alles gut.
Schließlich Ausfahrt, gleiche wie in der Probefahrt davor. Prüfling hat dazugelernt. Schulterblick, rechts halten. Blinker setzen, ganz abbremsen, zwischen LKW und Leitplanke durchquetschen, vorfahren bis zur Ampel. Abbiegen, gerade weiter.
"Auf den TÜV-Parklatz, bitte."
Ich parke auf dem Parkplatz, von dem wir auch gestartet sind und schaue auf die Uhr.
"Mistig, das Einparken fehlt noch... "
"Geburtsdatum?"
Eine fiese Frage, mit der ich nicht gerechnet hatte. Doch nach 20 Sekunden hatte ich schon die Antwort parat. Und scheinbar im gleichen Zuge überreicht mir der Mann eine kleine, unwichtig aussehende Plastikkarte, die in unserer Gesellschaft jedoch einen unglaublich hohen Wert hat...
Nichts. Keine Beanstandung, keine Fragen, keine Kommentare. Einfach nichts. Ron schaut btw. auch nicht schlecht, er ist stolz auf mich.
Und ich stehe da, in der Mittagssonne, habe meinen Führerschein. Einfach so. Und dabei war die Generalprobe so grässlich...
Zufrieden funkelt mir der "Lappen" entgegen, in Siegespose lächle ich mir selbst ins Gesicht.
Wer darf morgen Abend nach Hause fahren? Allein? Wer hat das Privileg, die Geschwister in oberpeinlichen Auftritten von den Partys abzuholen? Wer muss nun einkaufen fahren?
Ich.
Ich war selten stolzer auf mich selbst.