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Die Geschichte von Iglo Wetterstedt

Posted by Tim E. on Sonntag, August 10, 2008
Es ist noch nicht allzu lange her, da schrieb ich die Charaktergeschichte von Fandras Lorano Buchenblatt. Doch schnell entstand der Wunsch nach einer anderen Persönlichkeit, die sich ebenfalls in dem MMORPG Ultima Online spielen lässt.

So entstand die folgende Geschichte von Iglo Wetterstedt.
Viel Spaß beim Lesen der nächsten 30.248 Zeichen, verpackt in 5.466 Wörtern :-)



Kapitel 1 – Vom reichen Spieler

Dem Großbauern Themand Wetterstedt war am 13. Carmar im Jahre 116 nach Gernod ein Sohn geboren worden.
Aus seinen blassblauen Augen sah er seine Mutter, begeistert von der großen Welt, an, und niemand hätte zu dem Zeitpunkt geglaubt, was für ein verschusselter Versager einmal aus ihm würde.
Als der Großvater väterlicherseits des Kleinen die ersten beiden Buchtstaben seines Vornamens, Igolf Wetterstedt und die Großmutter die Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen, Lorena Olga Zeinmeiter, gegeben hatten, wurde der Junge von einem Geweihten der Viere empfangen und hörte fortan auf den Namen Iglo Wetterstedt. Zweifellos ein ungewohnter Name, gefiel er dem Vater sehr. Kurz und bündig, gut zu rufen und außerdem in der Buchstabenanzahl der Menge der Götter entsprechend – so mochte es der betagte Herr.

So wuchs Iglo unter dem Schutz seiner liebevollen und verhätschelnden Mutter Inis Wetterstedt auf, ein Geschwisterkind war ihm jedoch nie geschenkt. Ausgiebig spielte er auf Feldern und Wiesen, von denen doch so viele seinem Vater gehörten. Er kletterte zwischen Bäumen, jagte Vögel und anders Getier und war der typische, junge Knabe, den man von einem Großbauern erwarten könne.
Ihm standen die weiten, kostbaren Kleidungsstücke, die ihm geschenkt wurden, und er mochte auch gerne das großzügig zu Tisch getragene Essen; den Hasen in Pilzrahm mit Knödeln, die Vogelbrust in Tomatensoße oder auch den „Vagabundenspieß“, bestehend aus verschiedensten Fleischsorten, gesteckt auf einen Spieß und gebraten.

Als Iglo schließlich 7 Jahre alt wurde, ließ sein Vater ihn nicht in die nächste Schule gehen, sondern ihn von dem Privatlehrer Jon Bachfolg unterrichten.
Trotz der interessanten und inhaltsvollen Beiträge des wahrhaftig guten Lehrers war Iglo schnell den Unterricht leid und zunehmend verpasste er zunächst „unabsichtlich“, später ganz offensichtlich den Unterricht. Stattdessen beschaute er Landarbeiter auf nahen Feldern bei der Arbeit, schmiss mit Steinen nach Vögeln und prügelte sich auch gerne mit einzelnen Kindern, die er abseits der Höfe traf.

So wuchs der Junge im Wohlstand auf, lebte in seiner eigenen Welt, statt zu lernen und sich zu bilden und entwickelte sich zu einem leicht verwöhnten, schwer zufriedenzustellenden, jungen Mann.
Mit wachsender Größe und Reife erlaubte es Themand zunehmend, die Angelegenheiten des Großgrundbesitzers zu verwalten und in die nahe gelegene Papin-Stadt zu reiten, um dort einzukaufen, sich umzuschauen oder Bestellungen und kleineren Handwerksaufträgen nachzugehen.

So dachte der Vater jedenfalls und so war es auch eine gute, lange Zeit.

Doch Iglo musste eines Tages einem Ganoven und Halunken in die offenen Arme gelaufen sein, denn immer öfter ließ er sich in den zwielichtigen Hinterzimmern der Absteige „Zur Blutbuche“ blicken, die als Räume für nicht ganz legale Glücksspiele und Wetten galten.

Anfänglich mit geringen Einsätzen, doch mit steigendem Spielinteresse und gestärktem Suchtverhalten immer höhere Summen investierend – und meistens verlierend, musste Iglo, der inzwischen seinen Vater nicht länger um stattliche Summen erleichtern konnte, ohne dass dieser den Grund erfuhr, einen schnellen Ausweg finden.
Die Lösung des Problems war ein fetter Geldverleiher namens Smiek. Iglo konnte den üblen Kerl zwar nie leiden, doch er lieh ihm genügend Geld für die eine oder andere Runde. Zwar gewann Iglo mehrere Male in Folge eine beachtliche Menge Bares, jedoch schwand die Glückssträhne ebenso schnell, wie sie begann. Die folgenden Monate, bestehend hauptsächlich aus Verlusten statt Gewinnen und einer Krankheitswelle, die viele Landarbeiter heimsuchte, waren nicht positiv für Vater und Sohn Wetterstedt. Doch Themand hatte vorgesorgt, auch bei Verzögerungen der Zahlung der Pacht konnte er sich weiterhin Großzügiges leisten. Sein Sohn Iglo jedoch bekam zum ersten Male Besuch von dem nach altem Mobiliar riechenden Herrn Smiek.
Immerhin war Themand nicht zuhause, sodass Iglo den Herren ohne des Vaters Wissen abhandeln konnte – jedoch nicht, ohne ein Ultimatum für die Rückzahlung des Geldes einzustecken.

Dies war der Anfang des Soges in den Strudel der Schulden. Iglo Wetterstedt, Sohn eines wohlhabenden Großbauern, war im stattlichen Alter von 32 Jahren so verschuldet und arm wie ein übel vom Schicksal getroffener Landarbeiter des Fürstentums Malthust es in 10 Jahren nicht hätte schaffen können.

Nichtsdestoweniger erkannte Iglo nicht, in welche Sphären der Gefahr er sich mit jeder ins Spiel investierten Münze schleuderte.

Doch schließlich, an einem dunklen Nachmittag des frühen Dular im Jahre 11 nach Hilgorad, veränderte sich das Leben des trotteligen Jungen gravierend.
Mit seinen Spielfreunden an einem Tisch sitzend und Karten spielend fand Izaac Steenwaht den fein gekleideten Iglo in einem rauchigen Raum des Gasthauses „Der brummende Bär“. Schon lange beschränkte Iglo sich nicht mehr auf ein oder zwei Spielstätten, sondern war Stammgast in vielen Spelunken und Kneipen, aber auch Gasthäusern und Wirtschaften, in denen gespielt wurde.
Izaac wartete nicht, bis das Spiel geendet hatte und packte Wetterstedt junior ruppig an der rechten Schulter. Dessen Kopf wanderte hoch, bis er den Blick des Gläubigers striff und das Gesicht nahm erschreckte Züge an. „Draußen warten ein paar Freunde auf dich, du solltest sie nicht allzu lange warten lassen, he?“, waren die Worte, die aus dem grimmigen Antlitz des fade angezogenen, flachgesichtigen Typen gestochen kamen. Etwas bleich um die Nase ließ sich Iglo mühelos aus seinem Stuhl hoch- und vor die Tür des Hinterraumes ziehen.
Seine Beine wurden schwach. Wie bei einer Feier standen die Gäste mit erhobenen Gläsern und einem Trinkspruch auf den Lippen im Halbkreis im angrenzenden Schenkraum um ihn, nur leider waren die Gläser größtenteils Gehstöcke, der Trinkspruch ein zuckender Mundwinkel und die fröhlichen Gäste verärgerte und verbitterte Geldleiher, die das Geld, dass sie einst gaben, wiedersehen wollten. Und das auf möglichst schnelle und unkomplizierte Weise.
Der Mann, der vor ihnen stand, war zwar fein gekleidet, doch roch man die Angst, die er ausdünstete und man konnte quasi sehen, dass sein Geldbeutel de facto leerer als der Magen eines endophalischen Bettelknaben war.
Iglo wusste, was die Männer wollten. Und er wusste auch, wie viel sie verlangten. Lange schon drückte er sich vor der Rückzahlung an die einzelnen Männer, denn er hatte das Geld nicht. Weder hier, noch an irgendeinem anderen Ort. Der Schweiß brach ihm in Sturzbächen aus dem Körper hervor und wand sich spielerisch um Haut und Haar, als die Männer mit abwartenden Mienen sich auf die Stöcke stützen oder kaum merkbar die eine oder andere Augenbraue hoben.
Bevor jedoch Iglos Beine endgültig der psychischen Belastung, die er nicht gewohnt war, nachgaben, fasste er, wohl eher intuitiv, den einzigen Weg, der ihm offen blieb – er floh.

Leicht zusammensackend und mit seinem Gewicht gegen den mittleren Mann rempelnd, brach er durch die Mauer der Schuld und rannte, wie er noch nie gerannt war. Er verließ das Gasthaus, ohne sich von seinem netten Besitzer zu verabschieden, aber noch ein paar Stühle umschmeißend, damit die Verfolger kein leichtes Spiel in der Jagd auf ihn hatten.
Schnell begann sein Atem keuchend zu werden, als sich sein etwas dicklicher Körper ungebremst um Hindernisse wand, um Ecken preschte und alles, was sich ihm in den Weg stellte und nicht mehr umgangen werden konnte, umrannte. Er hörte die zornerfüllten Stimmen, die ihm Halt hinterher gellten, doch er dachte nicht im Traume daran, dieser ausdrucksstarken Bitte nachzukommen. Beim letzten Umsehen, bevor er sich in einen Gebäudeeingang drängte und darinstehende Menschen zurückstieß, konnte er noch flüchtig erkennen, dass der hagere Izaac etwa 30 Meter hinter ihm hing und gerade probierte, an einer aufgescheuchten Gruppe Mütter vorbeizukommen. Je weiter Iglo in das Gebäude eindrang, desto deutlicher wurde der Zweck des Schuppens. Er war in eine Abfertigungshalle des Hafens gelangt, in der alle erdenkbaren Handelsgüter verpackt, gelagert und verschickt wurden. Verzweifelt und der Kräfte am Ende bahnte er sich Wege zwischen Kisten, Kartons, Verpackungen und anderen Behältnissen, doch plötzlich gab es kein Weiterkommen. Der Weg war durch Berge von Kisten versperrt, der Raum hatte ein Ende. Er war direkt in eine Sackgasse gerannt, deren Ausweg geradewegs in die Arme der Jäger reichte.

Jetzt, wo Iglo stand, merkte er erst, wie stark er schwitzte und wie erschöpft er war. Hastig blickte er sich um, ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Sein Blick wanderte über die Holzkisten, suchend nach einer Stelle, die sich durchbrechen ließ, nach einem Vorsprung oder einem Fenster, sodass er aus der Falle entkommen konnte, doch seine Augen fanden nicht den erwünschten Fluchtweg. Stattdessen fing eine große, scheinbar unverschlossene Kiste seine Blicke ein und Iglo wurde vor die letzte Entscheidung seiner Jagd und Flucht gestellt. In die Kiste – oder lieber nicht? Gefangen werden und schrecklich büßen – oder verstecken und eventuell entkommen? Er wusste, wie sein Entschluss auszusehen hatte. Was könne ihm denn schon passieren? Mit einem Satz war er bei der Kiste angekommen, riss den wuchtigen Deckel so weit empor, dass genug Platz entstand, um in den Behälter zu entschwinden, und schloss ihn so sorgfältig, wie es ihm in der Eile möglich war.
Sein Herz pochte ihm bis zum Hals und sein Atem ging laut und schnell. Krampfhaft probierte er, leiser und ruhiger zu atmen, doch der unsportlich gewordene Körper gab keine Ruhe. Zudem war seine Position unbequem, doch dieser notwendige Umstand immer noch bekömmlicher für seinen eh schon rebellierenden Magen, als die Gefangenschaft zwischen zwei Händen voll Menschen, die ihm das Fell über die Ohren ziehen wollten. Mit einem inneren Seufzen und dem Hoffen, nicht entdeckt zu werden, horchte Iglo, soweit es seine dröhnenden Ohren zuließen, in die Außenwelt, doch er konnte keine Schritte hören, keine durchdringenden Rufe, einfach nichts, was beunruhigend währe. Als Iglo bemerkte, dass er unwissentlich die Luft angehalten hatte und sich jetzt sein Kopf mit einer unangenehmen Schwärze vor Augen bedankte, ließ er die Luft laut seufzend aus den Lungen fahren und war gerade in Begriff, die seltsam riechende, aber dennoch frische Luft einzusaugen, als er die vertraute, ölige Stimme von Smiek beinahe neben seinem Kopfe vernahm. Das Herz schien stehen zu bleiben und der Gefangene dachte für einen Moment, er müsse sterben, so erschreckend klar waren die Laute neben den Behältnissen. Doch zwischen die Stimmen, die so verärgert und hasserfüllt dem Zorne ihrer Herren Nachdruck gaben, mischte sich ein anderes Geräusch. Ein Geräusch des Klimperns und Klirrens. Erst als ein Schlag Iglos Gefängnis erschütterte, wusste jener, dass die Kiste soeben vernagelt und verschraubt wurde, bereit, eine weite Reise auf sich zu nehmen – oder lange zu ruhen.
Mit einem mächtigen Ruck wurde die Kiste emporgestemmt, Iglo spürte es in seinem geschwächten Magen. Wankend wurde sie bewegt, eine ganze Weile, während die Stimmen der Gläubiger immer schwächer wurden und in der unbekannten Ferne verschwanden. Schließlich donnerte der Kasten unsanft auf einen harten Untergrund und bewegte sich nicht mehr. Doch das verdiente Aufatmen blieb aus. „Seit wann wiegen denn ne Kiste Thunfische so viel an Gewicht, wat Pjete? Die Viecher werden immer fetter, werden die, ha!“, lachte einer der Träger und entfernte sich schon wieder von dem unscheinbaren Versteck.

Thunfisch? Zum ersten Male fasste Iglo die Zeit, sich den weichen Untergrund genauer anzusehen, soweit es die vereinzelten, durch die Bretterlatten fallenden Lichtstrahlen der untergehenden Sonne noch zuließen.

Thunfisch.

Iglo Wetterstedt, Sohn des wohlhabenden und bekannten Großbauern Themand Wetterstedt war gefangen in einer Kiste, gefüllt mit totem Thunfisch.

Er mochte keinen Thunfisch.




Kapitel 2 – Vom Versager zum Verrückten

Iglo war noch weitere Male umgeladen worden und befand sich jetzt mit ziemlicher Sicherheit auf einem Schiff in das Nirgendwo, das gleichmäßige Schaukeln und der fiese, penetrante Geruch der labberigen Thunfische, die einen schrecklich blümeranten Einfluss auf den Magen Iglos hatten, verlangten dessen ganze Konzentration. Inzwischen war mindestens ein Tag vergangen, wenn nicht sogar schon etwas mehr, und Iglo begann, den stinkigen, schlechtschmeckenden, schuppigen Thunfisch richtig zu hassen. Natürlich hatte er gerufen und geschrien und um Hilfe gebettelt, doch entweder war er selbst für eine Gottheit zu tief im Laderaum des Schiffes vergraben, oder die Matrosen wollten ihn nicht hören – augenscheinlich half ihm keiner. Und somit saß er den lieben, langen Tag da und beglotzte in dem dämmrigen Licht, er vermutete eine Fackel oder Ähnliches, die leblosen, schlaffen Fische. Wie sie da lagen, so labberig, so ekelerregend, so tot … und auch wenn der Fisch selbst interessant aussah, war doch das, was so viele Kreaturen mit Freuden verspeisten, widerlichster Fraß. Und nun sollte er mit diesen Abscheulichkeiten, die so unbeherrscht die feine Kleidung aus Übersee besabberten und ihren fauligen Geruch in den sanften Stoff abgaben, auf einem Kahn, der ins Irgendwo im Nirgendwo schaukelte, wahrscheinlich die Reste seiner Tage verbringen?
Iglo hatte keine Lust mehr. Sein Leben war eine einzige Katastrophe gewesen, von dem Tag an, als er das Hinterzimmer der „Blutbuche“ betrat. Er schüttelte den Kopf. Wie konnte er nur so tief sinken? Verschuldet, wie wahrscheinlich kein anderer im Land, hatte er sich den Großen, denen mit Geld und Macht, gebeugt und somit seinen Willen verkauft… Iglo nahm zornig eines der abstoßenden Flossenwesen und klatschte es mit aller Kraft gegen die massiven Holzlatten.
Mit einem Knirschen barsten die Gräten des kleinen, unschuldigen, toten Tieres und Iglo hielt einen grotesk wackeligen Silberschweif in seiner rechten Hand. Wieder und wieder ließ er den Fisch gegen die Bretter rasen, bis dessen Leib wie ein mit Matsch gefüllter Beutel in Iglos Händen ruhte. Mit keuchendem Atem schleuderte er die Überreste des Tieres in die gegenüberliegende Kistenecke, wo es reglos liegen blieb und Iglo mit großem Auge anstarrte. Lange noch wütete Iglo, trat seine Mitgefangenen, trat die Kistenwand, trat den Deckel, hämmerte mit seinen Fäusten gegen selbige Grenzen und brüllte und weinte, bis er erschöpft einschlief.

Als er erwachte, regierte der Durst über solch Nebensächlichkeiten wie Ekel und Abneigungen sowie Hunger. Das letzte Getränk schien Äonen entfernt, das immer gleich flackernde Licht der verfluchten Fackel raubte dem Sträfling sämtliches Zeitgefühl. Hatte er lange geschlafen? Zwei, vielleicht sogar drei Tage? Dem Durst und Hunger nach könnte es auch eine Woche gewesen sein, wer könne das schon beurteilen.
Die trockene Zunge fuhr über spröde Lippen, eine Hand kratzte unangenehm über die kalten, splittrigen Holzfasern der Behausung und rot umrandete Augen suchten schnellen Blickes nach einer kühlen, flüssigen Erfrischung, doch das Zucken und Fühlen konnte nichts dergleichen ausmachen. Stattdessen meldete sich der hauseigene Kopf mit einem beachtlichen Repertoire an Unbehagen aufgrund des Gestanks und des Dursts, gemischt mit den Rückenschmerzen der letzten, unbequemen Nacht.
Ein Stöhnen entglitt Iglo, als er die engen Wände schummrig betrachtete und nun mit beiden Händen seinen Raum abzutasten begann. Kratzige, faserige Holzlatten, nichts hatte sich verändert. Obwohl sich der verwöhnte Mann ein sauberes, großes, helles, wohlriechendes Zimmer wünschte, erschien dieses nicht. Zum ersten Mal in dem Leben des armen, jedoch wohlbehüteten Mannes bekam dieser nicht jenen Luxus, den er verlangte. Panisch versuchte er wiederholt, den Deckel anzuheben – ohne Erfolg. Stattdessen bemerkte Iglo in seiner leichten Umnachtung etwas anderes, erfreuliches, etwas Wünschenswertes: Wasser. Genauer genommen handelte es sich um eine geringe Menge Tau, die nicht mal eine Katze gestillt hätte, doch der dehydrierte Iglo hing schneller mit seinem Gesicht unter dem Dach, als man in dem fahlen Licht blicken konnte. Lächerlich plump und unbeholfen schleckte und schlürfte er die wenigen Tropfen auf, sog das wenige Nass ein und erst, als Iglo ganz sicher war, nichts übersehen zu haben, plumpste er in den Sessel aus Fisch zurück, den er sein eigen nannte.
Unbequem sitzend und verstört blickend wartete Iglo Stunde um Stunde auf ein günstiges Ereignis, doch niemand schien einen Gedanken an die Ladung zu verlieren. Das Rufen hatte Iglo aufgegeben, teils wegen der fehlenden Kraft, teils wegen des Belages aus Fischluft, der sich im Hals abgelegt zu haben schien.
So verstrich ereignislos viel Zeit, in Iglos Augen Tage und Wochen des aussichtslosen Ausharrens.
Inzwischen glich die Beständigkeit seines Geistes der Standfestigkeit eines neugeborenen Fohlens, obgleich jenes Tier schon nach kürzester Zeit sicher auf den Hufen stehen kann, jedoch Iglo sich nicht mehr auf seinen Geist verlassen konnte.
Geplagt von Geruch, Durst, Hunger, Schlaflosigkeit und einsetzender Hitze kauerte der Mann, am tiefsten Punkt seines kleinen, jämmerlichen Lebens angelangt, auf dem Thron der Einsicht und lieferte sich mit dem zerschlagenen Flossenetwas vom ersten Tag einen schauerlichen Starrkampf. Die Entscheidung, von dem Leben Abschied zu nehmen war schon gefühlte vier Tage her, und immer noch wollte dieser verdammte Körper nicht aufgeben und endlich mit dem verwirrten Geiste eintreten in das dunkle Reich von – wem eigentlich? Zu viel schon hatte Iglo vergessen, zu viel, als dass er sich an Morsans Reich oder überhaupt Namen erinnern könnte. Seine eigene Geschichte schwebte nur noch schemenhaft, wie ein durchsichtiger Vorhang, vor dem getrübten, geistigen Auge der gequälten Gestalt. Es war ihm gleich geworden, wo er herkam und was er wollte, schon lange strengte sich Iglo, wenn er denn noch so hieß, nicht mehr an. Sein einziges Vorhaben war es, aus dieser Welt zu treten, möglichst leise und schnell, um wenigstens diesem Gestank - auch wenn er ihn nicht mehr wahrnahm, aber dennoch wusste, dass er existierte - entfliehen zu können.
Wie lange starrte er diesen Fisch eigentlich schon an? Oder war es das Tier, welches ihn anstarrte?

„Glotz nicht so doof“, hätte man aus Iglos Mund vernehmen können, wären die ungewaschenen Zähne zum Sprechbrummeln auseinander genommen und nicht untätig zusammengelassen worden.

Der Mann sowie die restliche Ladung schunkelten gleichmäßig mit den Wellen der See, flackernd zeugte die schlafraubende Fackel von ihrer immer noch andauernden Existenz und knarrend machte sich Holz bemerkbar, sodass man kaum das kleine, dünne Stimmchen vernehmen konnte, welches sich von anderen Geräuschen löste und sanft in Iglos dreckige Ohren floss.

„Selbst schuld!“

Iglos vertrocknetes Gehirn kam nur langsam wieder in Schwung, sodass eine beachtliche Zeit verstrich, bis der Mann bemerkte, dass soeben ein Fisch seine Stimme an ihn gerichtet hatte. Von sprechenden Fischen hatte er schon lange nichts mehr gehört.
Hatte er denn jemals von einem sprechenden Fisch gehört?
Krampfhaft versuchte der Mann seine Gedanken zu sammeln, doch bevor ein Resultat entstehen konnte, blubberte der matschige Fisch schon eine weitere, stinkige Phrase hervor.

„Geht’s dir wenigstens besser?“

Immer noch starrte Iglo in eines der kleinen, fast ausgetrockneten, matt funkelnden Glubschaugen. Schließlich bewegte er die müden Knochen, griff sich den Sack aus Fisch und legte ihn auf seine beiden Hände vor sich. Nachdenklich schweiften die Augen über den zerschundenen Körper, mit welchem das Tier früher einmal schwimmen und leben konnte.

„Das mit dem Schwimmen kann ich jetzt wohl vergessen, wo du mir alles zerbrochen hast, das stimmt.“

Iglos Augen weiteten sich unmerklich, als der Fisch begann, unqualifizierte Kommentare zu seinen Gedanken abzugeben.

„Wie schön es doch war, mit Freunden und Familie gemeinsam zu schwimmen, die Welt zu bereisen und dies oder das zu entdecken, um mal aus dem öden Alltag auszubrechen…“, sülzte der Fisch. „Doch dann kamen diese Kerle, fingen uns alle weg und nun liegen wir hier rum, können nicht mehr reisen – aber dass dann noch so ein Bekloppter ankommt und uns willkürlich zerschlägt, ist neu!“

„Du kannst gar nicht sprechen“, murmelte der Bauernsohn in unverständlicher Weise, „das bilde ich mir nur ein.“

Und obwohl der Mann annahm, dass er Recht hatte, konnte er nicht diese feine Stimme aus seinem Kopf verbannen, die so interessant klang, dass ein Weghören unmöglich war.

„Da du scheinbar nicht nur ein kleines Problem mit mir, sondern auch mit deinem Leben hast - was solltest du sonst in einer geschlossenen Gesellschaft, wie es hier eine war, suchen - werde ich mich als guter Fisch erweisen und dir ein paar Ratschläge geben, damit etwas ähnliches wie dieses hier nicht mehr vorkommt“, sprach das Tier, während es seinen Körper zu mustern schien.


Und der stinkende Fisch erzählte, wo Iglos Problem lag. Schleppend erinnerte er sich an die Spielsucht, die Abhängigkeit, die schnelle Aggressivität, die Verlogenheit und all das andere, was wie eine übel riechende Wolke ekligen Gases an ihm haftete. Iglo blickte währenddessen den Fisch mit einer Mischung aus Ekel und Interesse an. Wer hat denn schon mal einen predigenden Fisch gehört oder gesehen?

Als das Flossenwesen nach mehr als einer Stunde seinen Monolog zum ersten Mal unterbrach, merkte Iglo, dass er dem Fisch kaum folgen konnte und die Antwort auf seine Probleme fern und unschlüssig klangen.
Da griff der Fisch, der natürlich nur in dem zerschundenen und angegriffenen Kopf des armen Mannes sprach, zu einer alten Geschichte, die deutlich machen sollte, was er zu verstehen geben wollte.




Intermezzo Eins – Die Geschichte der Thunfische Ismelda und Flynt

Einst lebte ein mächtiger Herrscher der Thunfische im tiefen Meer, und er wurde genannt ‘Volpert von Balimanius XVII‘.
Wie ein jeder König oder Herrscher hatte auch dieser etliche Nachkommen. Jedoch war auch ihm nur der erstgeborene Sohn teuer und wert, da er den Thron nach Ableben des Vaters besteigen sollte. So wuchs Flynt von Balimanius in einer Umgebung voller Prunk und Pracht in dem Thunpalast seines Vaters auf. Wie ein jeder Sohn von adligem Blute lernte er schon früh Lesen und Schreiben, den Umgang mit dem Florett, schwimmen wie ein Meister und natürlich herrschen und regieren.
So strichen die Jahre in die See, Flynt erlebte helle, aber auch dunkle Tage, in denen die Gewässer rau und unbarmherzig zu jenen waren, die es wagten, sie zu bereisen.
Flynt erwies sich als ein Sohn von Vorbild, er war von großem Geschick und solchem Interesse an unterschiedlichsten Dingen, dass Volpert von Balimanius XVII voller Stolz erfüllt in den Tag lebte, immer erfreut und gespannt, mit was sein tüchtiger Sohn ihn heute überraschen würde.
Flynt war jedoch nicht nur körperlich und repräsentativ, sondern auch innerlich gewachsen und begeisterte sich zunehmend für andere Dinge, wie dem allabendlichen Folgen der Spiegelungen des Mondes in den seichten Wellen der ruhenden See, er erfreute sich auch an dem harmonischen Wiegen der Unterwasserfauna – er entwickelte eine romantische Ader.
Zudem wagte es Flynt des Öfteren, zu späten Stunden, wenn wabernde Schatten die Gestalten verbergen, in nahe gelegene Siedlungen seines Königreiches zu schwimmen, um sich getarnt unter Artgenossen zu mischen und dem Drang nach Gesellschaft nachzukommen.

Es war vorherbestimmt und absehbar, dass sich eines kalten Meerabends Flynt von Balimanius in jene wunderschöne Fischdame verliebte, die gelöst zwischen den träumerisch wankenden Seegräsern stand und von einer Erhebung aus auf eine prachtvolle Landschaft aus bewachsenen Meeresschluchten blickte.

Von fremden Gefühlen überwältigt und der Handlungsfähigkeit beraubt, wie es Flynt noch nie erlebt hatte, verharrte er still hinter Fels und Gestein, ohne sich zu zeigen oder einen Hinweis auf seine Existenz zu geben.
Erst nachdem das wunderhübsche Mädchen davongeschwommen war, urplötzlich war ihr Standort leer, bereute Flynt seine Feigheit.

Noch lange schwamm er auf der Stelle umher, wo noch kürzlich das schönste Fischmädchen verweilt hatte, welches er je in seinem Leben gesehen hatte.

Doch die Lebensgeschichte Flynts sollte nicht tragisch enden, und so trug es sich zu, dass Flynt eines anderen Abends an eben jener Stelle der ersten Begegnung dasselbe Fischmädchen wiedertraf. Seinen Augen nicht trauend wagte sich Flynt langsam, aber stetig, näher, bis er unter Anstrengungen, die er sonst nur bei einem Übungskampf zu spüren vermochte, die Dame ansprach.
Nur ein Blinder wäre nicht in der Lage gewesen, sehen zu können, dass es sich bei diesem ersten, flüchtigen Kontakt um Liebe auf den ersten Blick handelte.

Es bedarf nicht meiner Worte, um vermitteln zu können, wie glücklich Flynt war, eine Liebste, eine wahrhaftig hübsche und kluge Freundin gefunden zu haben – Ismelda.
Heimlich musste der junge Prinz jedoch die Beziehung pflegen, da sein Vater, der mächtige König, keinen näheren Umgang mit dem einfachen Volk wünschte und empfahl. Zerbrechlich war die Verbindung der beiden Liebenden, stark von den Plänen des Königs für seinen Sohn abhängig, doch die beiden schafften es, sowohl die Existenz des jeweils anderen geheim zu halten, als auch nicht Gefühle durch Banalitäten zerbrechen zu lassen.

Und so wurde aus dem stark behüteten Fischlein im Laufe der Zeit ein großer, freier, lebensfroher Flossenschwimmer, welcher einen Sinn hinter all den Taten gefunden hatte, die er zu lernen hatte. Mit dem Ziel, für etwas zu kämpfen, sodass er eines Tages seine – noch verpönte – Liebe trotz der gesellschaftlichen Klüfte zur Frau nehmen könne, wuchs Flynt über sein eigenes Ausmaß hinaus und wurde ein richtiger Fischmann, nein, ein Fischprinz, ein Prinz der Thunfische, der Erbe des Throns, ein würdiger Folger.

Dies musste der Grund für Volpert von Balimanius XVII gewesen sein, der eines Tages beschloss, Flynt seine zukünftige Lebensgefährtin, nach alter Tradition bereits bei seinem Schlupf ausgesucht, vorzustellen.

Nun mag ein Banause sagen, dass alle Fische gleich aussehen, doch kommt diese Behauptung dem Vergleich nahe, dass alle Bäume dieser Welt gleich wären. Schnell wird man bemerken, dass dies nicht der Fall ist, und so kann leicht gesagt werden, dass die Auserwählte für den Kronprinzen keine Schönheit und war.
Verwerflich erscheint die Entscheidung, eine weibliche Gestalt nach dem Äußeren zu beurteilen, doch war sie auch innerlich zu keiner der Regungen imstande, die Flynt so an seiner Liebsten schätzte.

Erzürnt über das Vorhaben des Vaters, welches ohne Flynts Wissen in die Gänge geleitet wurde, beschloss der sonst so gehorsame Flynt, Abstand zu nehmen von Hinterlist und Zwist und verließ noch am selben Abend mit den Habseligkeiten, die er als relevant auf einer langen Reise empfand, den prunkvollen Palast seines Vaters und König.
So geschah es zum ersten Male in der Geschichte der Thunfische, dass ein Thronfolger freiwillig und wissentlich entfloh vor der Tradition, die seit Generationen gepflegt und strikt befolgt wurde.

Es wäre eine weitere Geschichte, wie und wohin der Prinz mit seiner Angebeteten floh, und so sei lediglich folgendes gesagt:
Schnell, nachdem sein geliebter Sohn geflohen war vor seinem eigen Fleisch und Blut, erkannte Volpert von Balimanius XVII die Liebe, die aus seinem Herzen sprach und seinem Sohne galt. Keineswegs war Volpert ein kaltblütiger Vater, jedoch ebenso an Traditionen und Pflichten gebunden und gewöhnt, wie es ein jeder König und Herrscher der Thunfische gewesen war.
Es muss eine göttliche Fügung gewesen sein, dass Flynt bei seiner Reise in entfernte Länder spürte, seinem Vater Unrecht getan zu haben, sodass er schneller Flosse zurückkehrte in das Reich Balimanius XVII.

Groß, schier unvorstellbar war die Freude des Königs, seinen geliebten Sohn wiedergefunden zu haben, ja sogar so groß, dass er das Gesetz aufhob, das einem Prinzen die Plichtheirat vorschrieb.

So bleibt nur zu sagen, dass Flynt und Ismelda zusammenblieben, als Paar akzeptiert und geduldet und glücklich lebten…


Was das alles mit Dingen wie Hass, Aggression, Depression, Spielsucht, Mord, Totschlag und den anderen überflüssigen, destruktiven Gedanken zu tun hat? Nun, ich will es Euch erzählen.




Intermezzo Zwei – Die Kraft der Elemente

Leider verstarb Volpert von Balimanius XVII eines Tages, sodass Flynt von Balimanius I nebst seiner wunderschönen Frau Ismelda von Balimanius den Thron als rechtmäßiger Nachfolger bestieg.

Doch mit den Wellen der Zeit war eine schlimme Krankheit über das Volk gekommen, die kein Fisch zu heilen vermochte, denn sie war nicht körperlicher Art.
Wellen von Depressionen überschwemmten das Land, und ein jeder Fisch, sei es glücklicher Vater hunderter von Kindern oder ein allumsorgter Greis, verfielen den verschiedensten Arten dieser Erkrankung – Wut zog in die Städte, der blanke Zorn loderte in den Augen der Bewohner und schon bald waren weder Kinder noch Erwachsene zwischen den Steinen und Riffen sicher vor dem Neid und dem Hass des jeweils anderen. Die Gier hatte sie gefunden, verwundbar und verletzlich, da das Volk keine Lehren kannte, die sie ordneten und vor den leichtfallenden Sünden wie eben jene Erkrankungen schützte.

Getroffen war der König, als er von den wachsenden Zahlen der Verfallenen hörte und getroffen war er, dass sie nicht mehr in der Lage waren, ihre Nächstenliebe zu bewahren und sich zu kontrollieren. Tage um Nächte streifte er durch seinen Palast und die weiten Seetanggärten, unruhig schlief er wenig, geplagt von
Albträumen rund um das gemochte Volk.
Flynt war ein Herrscher mit Herz, der sich nie als etwas Besseres vorkam und mit Freuden den Umgang mit dem Volke pflegte. Umso mehr traf ihn die Kunde von vor Zeiten besiegten Feinden der Friedlebenden, die nun wieder an die Pforten klopften, wie Hiebe und Stiche.

Es schien, dass niemand diesem Treiben Einhalt gebieten könne, bis eines Tages eine Delegation aus dem Westen, dem Reich der Blauflossenthunfische, Hilfe und Licht brachte in das verdunkelte und von Hass verhangene Reich.

Es waren keine Heiler in dem Sinne, sondern Gelehrte, Fische, die sich durch große Fähigkeiten ausgezeichnet hatten. Mit diesen Fischen kam eine Lehre in das Land, welche schon vor langer Zeit befolgt wurde, um eben jene Feinde zu besiegen, doch geriet sie in Vergessenheit, so der Gegner überwältigt war.

‘Die Lehre der Elemente‘ wurde sie genannt und ein jeder Thunfisch, nein ein jeder Fisch in den weiten Meeren und Ozeanen Tares‘ folgte ihr, um ein Leben in Frieden und Eintracht zu leben.




Kapitel 3 – Ein neuer Mensch

Nicht nur Iglos Kopf drehte sich, sondern auch die Kiste und scheinbar das ganze Schiff. Zwar hatte der Fisch, der immer noch in seinen Händen ruhte, nach den Geschichten um Ismelda und Flynt versucht, Iglo die Lehre der Elemente nahe zu legen, doch war diese so umfangreich für seinen zerschundenen Kopf, dass sich die Welt zu drehen schien. Dehydriert und der Kräfte am Ende hatte Iglo dem Fisch in seinem stunden – oder tagelangen Monolog gelauscht, vieles hatte ihm zu denken gegeben, solange er es fertig brachte, den Kopf zu etwas anderem anzuregen als träge und mit leer dreinzuschauenden Augen herumzuhängen. Hin und her geschleudert zwischen Gefühlen, Ängsten, Hoffnungen, Gedanken um das Sein und den Gedanken, nicht mehr zu sein, hockte er da.
Der Schädel brummte, ein Tosen klang in seinen Ohren, und Iglo fühlte sich schwächer denn je, mit jedem kriechendem Atemzug schwächer werdend.

„Konnte ich dir die Augen öffnen?“, fragte der Thunfisch mit stets gleich bleibender Stimme.

Ein Beben durchfuhr den Leib des stinkenden, verwahrlosten Mannes, zitternd wie Espenlaub kauerte er in dieser muffeligen, unglaublich grässlichen Gruft. Mit einem Knall war alles vorbei.

Licht.

Unsagbar viel Licht.

Und Luft.

Unmengen von reiner, frischer, kühler Luft.

Der Mann, der die Kiste geöffnet hatte, bekam nicht nur den Mund nicht mehr zu, sondern kam auch aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Erst als sich der Mensch, der wohl mal ein Mann gewesen sein sollte, langsam bewegte, fiel der Lagerarbeiter rücklings zu Boden, krabbelte ein paar Fuß, bis er schließlich aufsprang und schreiend sowie stolpernd zu seinem Vorgesetzten hastete.

Als Iglo realisierte, dass sein Grab geöffnet war und er sich unter strahlendem Himmelsblau befand, umgeben von Möwengekreisch, spielenden Kindern, einkaufenden und handelnden Müttern und Frauen, hatte er sich auch schon an dem Kistenrand hochgezogen und hockte und hing über die Kante gebeugt und gestützt.

Unwirklich sah all dies aus, so fern und schwach waren doch die Gefühle, die er für die Zivilisation hegte, Gerüche, wie er sie schon vergessen hatte, drangen in seine taube Nase, und das Element Wind empfing ihn herzlich zurück in der Welt der Lebenden.
Langsam drehte sich Iglo zurück und plumpste in seinen alten Kasten.

„Und? Willst du es noch einmal versuchen und dieses Mal besser machen?“

Langsam öffnete sich ein Spalt zwischen den beiden eingerissenen Lippen und langsam setzte Iglo zu jenen Worten an, die er dem Fisch als Antwort gab:

„Jeder Fisch kennt die Lehre der Elemente?“

„Ja.“, sprach der Fisch.



Mit einem Ruck griff sich Iglo den Thun der Fische an dem silbrigen Schwanz, hielt ihn hoch, betrachtete ihn genau –

und schmetterte ihn gegen die Latten der Kiste.


„Nur damit du es weißt: Ich hasse Thunfisch!“




Intermezzo Drei – Der Fischer

Nachdem Iglo von einigen Männern des Lagerhauses aus dem Behältnis befreit worden war, brachte man ihn geradewegs in das nächste Hospiz der Stadt Rothenburg, in der das Schiff angelegt hatte, wo Iglo Wetterstedts Körper sich schnell von seiner Gefangenschaft und den Strapazen in der Thunfischkiste erholte. Das Verhalten des Mannes hatte sich jedoch grundlegend verändert.
Kaum, da er wieder stehen und gehen konnte, bemühte er sich um eine Fischerausrüstung und eine anständige Ausbildung in dieser Kunst, als welche er das Fischen heutzutage bezeichnen möchte.

„Warum“, mag man sich fragen, „beschäftigt sich ein Mann wie Iglo Wetterstedt, der mehrere Tage in einer Kiste voller toter Fische gefangen war, mit der Fischerei?“

Es könnte daran liegen, dass er wirklich die Augen geöffnet bekam von jenem Thunfisch, den er so zertrümmerte. Vielleicht wollte Iglo wirklich ein neues Leben nach der Lehre der Elemente anfangen und jedem Menschen, den er trifft, einen Fisch darbringen, der auch ihm die Lehre der Elemente nahelegen kann. Denn wenn irgendwelche Eigenschaften in der heutigen Welt zuhauf vertreten sind, so handelt es sich hierbei um Hass, Neid, Gier und Eifersucht. Die Ruhe und Eintracht hingegen mit der Natur und den gegebenen Habseligkeiten hat in den Herzen der Bewohner Tares viel zu wenig Platz.

Vielleicht ist Iglo aber auch einfach nur auf den fabelhaften Geschmack anderer Fische gekommen und möchte ihn anderen Personen nicht vorenthalten.

Oder er ist einfach nur verrückt…




Kapitel 4 – Der Antritt der Reise

Zwischen den Marktschreiern des Hafens, die lauthals ihren geräucherten Aal und den frischen Thunfisch anpriesen, wie sie es jeden Tag um diese Zeit taten, war auch heute fast alles beim Alten geblieben. Einzig die breite Silhouette eines torkelnden Mannes, der in feinen Klamotten langsam die backsteinbepflasterten Wege entlang schritt, unterschied den heutigen Tag von allen anderen. Der unscheinbare Kerl watschelte geradewegs auf das einzige Schiff im Hafen zu, welches noch vor Anker lag. Manch einer mochte ihn von Lachsen und Forellen brabbeln hören bevor er weiterging, immer geradewegs auf das große Schiff mit dem Namen „Schwertfisch“ zu, welches den direkten Kurs auf die Insel Siebenwind nehmen sollte. Der beleibte Kerl zögerte einen Moment und schien dann freudig grinsend auf das Schiff zu torkeln.
Der Geruch von Fisch hing ihm nach.

1 Comments


Hey du, ist eine echt hübsche Geschichte und sehr schön und lustig geschrieben :) Hab zwischenzeitlich sehr gelacht und ich kann ihn mit dem Ausspruch "Ich hasse Thunfisch!“ sehr gut nachempfinden ;)

hab dich lieb

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