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Für mich bitte Logenplätze!
Posted by Tim E.
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Samstag, September 27, 2008
Sebastian und meine Wenigkeit sind heute groß ausgegangen.
Ich, gequetscht in einen Smoking meiner Wahl, mit Gamaschen und einem flotten Zylinder, natürlich mit Stock, und Sebastian, auch mit einer nicht weiter der Beschreibung nötigen Aufmachung, der meiner doch sehr ähnelte, haben uns heute mal ein wenig Kultur gegönnt. So bestellten wir uns eine Kutsche bis vor die Haustüre und ließen uns gar nobel zu jenem Konzert der Spitzenklasse fahren, wo wir uns beide nach einigen Häppchen und einem guten Glas Champagner auf den Plätzen unserer Loge breit machten und gespannt über die Reling glotzten.
Gar wie Statler und Waldorf aus der Muppetshow saßen wir dort und ließen uns berieseln von den Klängen, die ein Orchester, eine mehr oder weniger bigge Band, 40 Chorsänger und 2 Solistinnen hinlegen können.
Warum ich mich wie Statler fühlte? Oder Waldorf?
Nun, ich konnte diesem Konzert wenig Gutes abgewinnen. Und genau jenes, was mir nicht gefiel, werde ich nun hier zum Besten geben.
Es begann wohl alles mit dem Aufzug. Denn diesen fanden wir nicht, Sebastian meinte außerdem, dass er eh kaputt sei.
Trivial, ja, doch ist der erste Eindruck meistens der wichtigste.
So liefen wir die Treppen hinauf in den Aufenthaltsraum vor dem Konzertsaal und ließen die unseren Augen begierig nach einer Erfrischung über die Auslageflächen huschen. Doch statt auf einen Wasserspender oder Ähnliches zu stoßen, krallten sich unsere Blicke krampfhaft auf den Preisen fest, die selbst einen jeden Fast-Food-Laden mit seiner utopischen Kostenpalette in den Schatten stellt.
1,50 Euro für ein Becherchen Wasser, 2 stolze Euro für ein Becherchen Saft.
Somit bekomme ich für zwei Becher Apfelschorle (sprich Saft + Wasser) auch gerne einen Liter Hochgenuss mit Namen Chiquita, was wohl dem teuersten momentan erhältlichen Getränk auf dem deutschen Markt entsprechen sollte.
Nun, aber ich bin mir ja fast sicher, dass zwei Plastikbecher Apfelschorle ebenfalls nahrhaft sind...
So schlenderten wir weiter in den Konzertsaal, der uns mit einer besonderen Note der Marke "Muffige Menschen" begrüßte. Man darf es gar nicht glauben, aber nachdem wir des Röchelns müde waren, fanden wir sogar gleich einen wunderschönen Platz in der hinteren, rechten Ecke des Raumes, wo wir uns an die Wand lehnten und erwartungsvoll auf die weit, weit entfernte Bühne staunten.
Vier Stehlampen, alle eines unterschiedlichen Fabrikats, sorgten für eine mehr oder minder angenehme Atmosphäre auf der Talentfläche, und als mir Sebastian noch zuflüsterte, dass sogar die eine Lichtschleuder in dem Wohnzimmer seiner Mutter stünde, war mir klar, dass der Abend ein voller Erfolg würde: Die Show konnte beginnen!
Programm für die folgende Stunde waren Lieder von ABBA, mit einigen Stücken von ABBA und schließlich und endlich ABBA. Ich rückte meine Brille zurecht und verschränkte die Arme.
Soso, ABBA, na dann fangt mal an.
Folgenschwere Worte gestalteten die Einleitung als einen Lacher meinerseits, da die nette, sprechende Person meinte, gäbe man „bei google Abba favourites ein, so ist das erste Ergebnis die heutige Veranstaltung“. Ich habe es gegoogelt. Mit meinem Handy. Und das Erste, was ich fand, war „Celebrity Guest Djs Play Their Abba Favorites“. Ah ja.
Vielleicht hatte ich mich auch vertippt, denn Sebastian fand bei seiner Handysuche etwas anderes, allerdings war der CJD-Abend erst an fünfter Stelle. Schade.
Als die Verbindung urplötzlich abbrach, das Konzert hatte begonnen, was nicht unbedingt ein Grund sein muss, ließen wir die ersten Impressionen der Musikkultur auf uns einströmen wie die Tropfen auf einem nach Regen geifernden Gesicht aufkommen und zerplatzen. Wie Kinder im Regen standen wir da, uns nach dem kühlen Nass streckend, die Zunge heraushaltend, um den Geschmack des einen oder anderen Tropfens zu erhaschen.
Unser einziger Fehler war, dass wir uns in der Stadt befanden, der Regen viel zu warm und ekelig war und nach Mief schmeckte.
Im übertragenen Sinne heißt das: Der Techniker, übrigens obercool durch Bling-Bling, Baggyshorts und Cappy aufm Kopp, verhunzte die Lautstärke phänomenal, die Gastband, die passenderweise „Die Band ohne Namen“ (o.Ä.) hieß, klimperte und schrammelte falsch drein und der Chor presste ein Lied heraus, welches mich nur unschwer an die Probephasen der Instrumente eines Orchesters vor dem Auftritt erinnerte. Ihr wisst schon, der Teil, wo alle durcheinander spielen. Nicht die Probe.
Um ehrlich zu sein: Der Chor war gar nicht so schlecht. Doch konnte ich überhaupt nicht erkennen, was sie da sangen. Also eine Melodie war vorhanden, aber was sollte sie darstellen? Krampfhaft begab ich mich in die Musikanalysephase, in der jede Stimme gekonnt analysiert und interpretiert, letzteres wohl weniger, wird.
Und dann fand ich in einer der Männerstimmen, die vielleicht von fünf Männern gesungen wurde, während annähernd 30-40 Frauen darüberträllerten, die Hauptstimme des Stückes.
Mit einem Aufseufzen lehnte ich mich zufrieden zurück. Aah, das Lied ist es also. Aber einen Moment, bitte, wie sollen denn die Anderen, die kein musikalisches Gehör haben, das Lied erkennen?
Richtig. Sie hatten keine Chance. Meine Schnellumfrage, die aus dem Betrachten diverser Gesichter bestand, hatte als Ergebnis, dass etwa 70 bis 80% der Befragten keine Ahnung hatten, welches Lied sie da hörten.
Aber schön, jaja. The party must go on, oder wie es so schön heißt, also ohne Verluste weitersingen. Und so gingen wir im Sauseschritt auf die Halbzeit zu, mindestens eine Handvoll Zuhörer hatten bereits den Saal verlassen, darunter auch die Leiterin der ganzen Veranstaltung.
Nun, sie ist eine beschäftigte Frau, sicherlich hatte sie noch dringende Dinge zu erledigen…. Schlafen oder so.
Und urplötzlich, ich hatte mich gerade auf dem Boden niedergelassen und spielte mit drei Staubmäusen eine Runde „Mensch, ärgere dich nicht“, wurde das Konzept herumgerissen, wie eine Trompete in einem Streichkonzert schallte es von den Wänden wieder.
Apropos Trompete, ich weiß nicht, was der Gitarrist der namenlosen Band mit seiner Klampfe angestellt hatte, aber sie klang wie ein verrostetes, angeschossenes Blasinstrument… nun ja, das nur am Rande.
Was ich eigentlich ausdrücken wollte, war die Veränderung in der Vorstellung. Als ich mich erhoben hatte, saßen die Chorsänger und an ihrer statt standen in der mehr oder weniger Mitte der Bühne zwei Damen, gekleidet in wunderschön blinkenden und funkelnden Kleidern, an denen jede Elster oder Motte gerne einmal genascht hätte.
Tiefe Löcher, die an Münder erinnern könnten, öffneten sich mitten in den Gesichtern der Beiden und zwei Klänge, wie Sirenengeschrei, entfuhren den Untiefen dieser Klüfte. Die kleine, dünne 15-jährige seufzte alsbald einen sachten Todeskuss in das Mikrofon, während sie die Fusselboa auf ihren Armen schleuderte und ungeheuer sexy wirkte. Fast wären die Staubmäuse ausgeflippt.
Und neben ihr hob auch ihre Mitsängerin die Stimme gen Himmel, jedoch mit dem etwa zehnfachen Stimmvolumen. Die Erste dann noch hören? Keine Chance. Eine Kombination ohnegleichen, vielleicht versteht ihr, warum ich so überrascht war.
So prügelte sich das Duo durch Sphären der Gesangskunst, in schwindelerregende Höhen (mir wurde wirklich schlecht), aber auch in Tiefen, die eher gebrummt klangen als gesungen. Doch als wäre dies nicht genug meinte unser achso toller DJ am Technikpult, Lautstärkeänderungen einbauen zu müssen – vielleicht war er auch einfach zu unfähig, um eine kontinuierliche Lautstärke zu halten, ich weiß es nicht.
Und dann, endlich, als unser Dreamteam geendet und unter bravem Applaus die Bühne verlassen hatte, konnte ich auch wieder aus meinem Versteck, bestehend aus Händen vor den Ohren, hervorkommen.
Die folgende halbe Stunde umschreibe ich lieber im Stakkato, da ich sonst Gefahr laufe, abzuschweifen:
Der Chor kommt wieder auf die Bühne, beginnt zu trällern, der Bass der namentlich hier nicht zu erwähnenden Band hat ein Delay von +/- 0,5 Sekunden und kann nicht spielen, die Gitarre klingt immer noch blechern.
Während sich das Keyboard durch fiese Dissonanzen schraubt, scheint der Chor in G-Dur zu singen, während das Orchester wohl in F-Dur spielt, aber immerhin klingt es gut abgerundet mit der dissonanten Klavierimitation aus Plastik.
Schließlich kommt wieder eine Solistin auf die Bühne, hinter vielversprechendem Lächeln versteckt sie das eigentliche Lied, doch dem Dirigenten scheint dies alles zu langsam, kurzerhand verkürzt er die eigentliche Pause und gibt einfach mal nebenbei den Einsatz für die Sängerin. Die, mehr oder weniger verwirrt, verpasst den Einsatz, fliegt aus der Zeile und findet für 15 Sekunden den Einsatz nicht wieder – tragisch, aber unterhaltsam.
Applaus, applaus, Manege frei und schließlich wieder Chor, Geträller, der Mann, der für die Kameras zuständig ist spielt auf seinen Monitoren mit einem kleinen Mädchen Pacman oder so etwas, Sebastian und ich lachen uns tot, und alles findet langsam ein Ende.
Round about 50 Zuschauer, 2 ½ schwenken mit Feuerzeugen, alle wippen mit und wir ziehen uns wieder die Kleidung an, die wir voller Enthusiasmus fallen ließen, um mitzutanzen.
Endlich.
Ach owei, ich meine natürlich „Leider.“
Doch was könnte den Abend denn mehr versüßen als ein Dirigent voller Tatendrang, der da sagt: „Nun, wir haben auch noch eine Zugabe eingeübt, die können wir eigentlich auch noch zum Besten geben!“
Zugabe, die: „Ein Ausruf der tobenden Menge, der nach mehr ist. Eine Zugabe wird gefordert, wenn die Darbietung Gefallen gefunden hat.“
Wir haben nicht gerufen. Wir wollten keine Zugabe. Eigentlich wollten wir nur raus und unsere an den Gaumen gepappten Zungen mit einem Getränk (günstigem Getränk, wohlgemerkt!) unserer Wahl lösen – doch nein.
So plärren die Guten noch lockere 5 Minuten weiter, die Menge ist außer Rand und Band, die Türsteher haben Mühe, die Türen geschlossen zu halten.
Irgendwann muss die Leiterin einen Weg hineingefunden haben, denn sie ist wieder da und unterhält sich ausgelassen mit einigen Damen von Welt. Klar, sie ist ja auch ausgeschlafen und sitt.
Doch auch der schönste Abend muss einmal enden. Wir verdrücken uns einfach klammheimlich und suchen das Klo auf. Nachdem wir einem kleinen Jungen die Tür gegen den Kopf geknallt (unabsichtlich) und ihn ausgeschmissen haben (absichtlich), trinken wir das Braunschweiger Rohrsystem leer und verlassen diesen herrlichen Ort so schnell, wie unsere Beine uns tragen können.
Das Fazit des Abends?
Bei der nächsten Vorstellung, die wir uns anhören werden, hätten wir gerne Logenplätze. Schön weit vorne, sodass jeder hören kann, wenn wir meckern.
Doch damit sich einige nicht aufregen, werde ich jetzt noch sagen, dass nicht alles schlecht war. Wirklich nicht. Ich habe bei „Mensch ärgere dich nicht“ gewonnen!
Ich, gequetscht in einen Smoking meiner Wahl, mit Gamaschen und einem flotten Zylinder, natürlich mit Stock, und Sebastian, auch mit einer nicht weiter der Beschreibung nötigen Aufmachung, der meiner doch sehr ähnelte, haben uns heute mal ein wenig Kultur gegönnt. So bestellten wir uns eine Kutsche bis vor die Haustüre und ließen uns gar nobel zu jenem Konzert der Spitzenklasse fahren, wo wir uns beide nach einigen Häppchen und einem guten Glas Champagner auf den Plätzen unserer Loge breit machten und gespannt über die Reling glotzten.
Gar wie Statler und Waldorf aus der Muppetshow saßen wir dort und ließen uns berieseln von den Klängen, die ein Orchester, eine mehr oder weniger bigge Band, 40 Chorsänger und 2 Solistinnen hinlegen können.
Warum ich mich wie Statler fühlte? Oder Waldorf?
Nun, ich konnte diesem Konzert wenig Gutes abgewinnen. Und genau jenes, was mir nicht gefiel, werde ich nun hier zum Besten geben.
Es begann wohl alles mit dem Aufzug. Denn diesen fanden wir nicht, Sebastian meinte außerdem, dass er eh kaputt sei.
Trivial, ja, doch ist der erste Eindruck meistens der wichtigste.
So liefen wir die Treppen hinauf in den Aufenthaltsraum vor dem Konzertsaal und ließen die unseren Augen begierig nach einer Erfrischung über die Auslageflächen huschen. Doch statt auf einen Wasserspender oder Ähnliches zu stoßen, krallten sich unsere Blicke krampfhaft auf den Preisen fest, die selbst einen jeden Fast-Food-Laden mit seiner utopischen Kostenpalette in den Schatten stellt.
1,50 Euro für ein Becherchen Wasser, 2 stolze Euro für ein Becherchen Saft.
Somit bekomme ich für zwei Becher Apfelschorle (sprich Saft + Wasser) auch gerne einen Liter Hochgenuss mit Namen Chiquita, was wohl dem teuersten momentan erhältlichen Getränk auf dem deutschen Markt entsprechen sollte.
Nun, aber ich bin mir ja fast sicher, dass zwei Plastikbecher Apfelschorle ebenfalls nahrhaft sind...
So schlenderten wir weiter in den Konzertsaal, der uns mit einer besonderen Note der Marke "Muffige Menschen" begrüßte. Man darf es gar nicht glauben, aber nachdem wir des Röchelns müde waren, fanden wir sogar gleich einen wunderschönen Platz in der hinteren, rechten Ecke des Raumes, wo wir uns an die Wand lehnten und erwartungsvoll auf die weit, weit entfernte Bühne staunten.
Vier Stehlampen, alle eines unterschiedlichen Fabrikats, sorgten für eine mehr oder minder angenehme Atmosphäre auf der Talentfläche, und als mir Sebastian noch zuflüsterte, dass sogar die eine Lichtschleuder in dem Wohnzimmer seiner Mutter stünde, war mir klar, dass der Abend ein voller Erfolg würde: Die Show konnte beginnen!
Programm für die folgende Stunde waren Lieder von ABBA, mit einigen Stücken von ABBA und schließlich und endlich ABBA. Ich rückte meine Brille zurecht und verschränkte die Arme.
Soso, ABBA, na dann fangt mal an.
Folgenschwere Worte gestalteten die Einleitung als einen Lacher meinerseits, da die nette, sprechende Person meinte, gäbe man „bei google Abba favourites ein, so ist das erste Ergebnis die heutige Veranstaltung“. Ich habe es gegoogelt. Mit meinem Handy. Und das Erste, was ich fand, war „Celebrity Guest Djs Play Their Abba Favorites“. Ah ja.
Vielleicht hatte ich mich auch vertippt, denn Sebastian fand bei seiner Handysuche etwas anderes, allerdings war der CJD-Abend erst an fünfter Stelle. Schade.
Als die Verbindung urplötzlich abbrach, das Konzert hatte begonnen, was nicht unbedingt ein Grund sein muss, ließen wir die ersten Impressionen der Musikkultur auf uns einströmen wie die Tropfen auf einem nach Regen geifernden Gesicht aufkommen und zerplatzen. Wie Kinder im Regen standen wir da, uns nach dem kühlen Nass streckend, die Zunge heraushaltend, um den Geschmack des einen oder anderen Tropfens zu erhaschen.
Unser einziger Fehler war, dass wir uns in der Stadt befanden, der Regen viel zu warm und ekelig war und nach Mief schmeckte.
Im übertragenen Sinne heißt das: Der Techniker, übrigens obercool durch Bling-Bling, Baggyshorts und Cappy aufm Kopp, verhunzte die Lautstärke phänomenal, die Gastband, die passenderweise „Die Band ohne Namen“ (o.Ä.) hieß, klimperte und schrammelte falsch drein und der Chor presste ein Lied heraus, welches mich nur unschwer an die Probephasen der Instrumente eines Orchesters vor dem Auftritt erinnerte. Ihr wisst schon, der Teil, wo alle durcheinander spielen. Nicht die Probe.
Um ehrlich zu sein: Der Chor war gar nicht so schlecht. Doch konnte ich überhaupt nicht erkennen, was sie da sangen. Also eine Melodie war vorhanden, aber was sollte sie darstellen? Krampfhaft begab ich mich in die Musikanalysephase, in der jede Stimme gekonnt analysiert und interpretiert, letzteres wohl weniger, wird.
Und dann fand ich in einer der Männerstimmen, die vielleicht von fünf Männern gesungen wurde, während annähernd 30-40 Frauen darüberträllerten, die Hauptstimme des Stückes.
Mit einem Aufseufzen lehnte ich mich zufrieden zurück. Aah, das Lied ist es also. Aber einen Moment, bitte, wie sollen denn die Anderen, die kein musikalisches Gehör haben, das Lied erkennen?
Richtig. Sie hatten keine Chance. Meine Schnellumfrage, die aus dem Betrachten diverser Gesichter bestand, hatte als Ergebnis, dass etwa 70 bis 80% der Befragten keine Ahnung hatten, welches Lied sie da hörten.
Aber schön, jaja. The party must go on, oder wie es so schön heißt, also ohne Verluste weitersingen. Und so gingen wir im Sauseschritt auf die Halbzeit zu, mindestens eine Handvoll Zuhörer hatten bereits den Saal verlassen, darunter auch die Leiterin der ganzen Veranstaltung.
Nun, sie ist eine beschäftigte Frau, sicherlich hatte sie noch dringende Dinge zu erledigen…. Schlafen oder so.
Und urplötzlich, ich hatte mich gerade auf dem Boden niedergelassen und spielte mit drei Staubmäusen eine Runde „Mensch, ärgere dich nicht“, wurde das Konzept herumgerissen, wie eine Trompete in einem Streichkonzert schallte es von den Wänden wieder.
Apropos Trompete, ich weiß nicht, was der Gitarrist der namenlosen Band mit seiner Klampfe angestellt hatte, aber sie klang wie ein verrostetes, angeschossenes Blasinstrument… nun ja, das nur am Rande.
Was ich eigentlich ausdrücken wollte, war die Veränderung in der Vorstellung. Als ich mich erhoben hatte, saßen die Chorsänger und an ihrer statt standen in der mehr oder weniger Mitte der Bühne zwei Damen, gekleidet in wunderschön blinkenden und funkelnden Kleidern, an denen jede Elster oder Motte gerne einmal genascht hätte.
Tiefe Löcher, die an Münder erinnern könnten, öffneten sich mitten in den Gesichtern der Beiden und zwei Klänge, wie Sirenengeschrei, entfuhren den Untiefen dieser Klüfte. Die kleine, dünne 15-jährige seufzte alsbald einen sachten Todeskuss in das Mikrofon, während sie die Fusselboa auf ihren Armen schleuderte und ungeheuer sexy wirkte. Fast wären die Staubmäuse ausgeflippt.
Und neben ihr hob auch ihre Mitsängerin die Stimme gen Himmel, jedoch mit dem etwa zehnfachen Stimmvolumen. Die Erste dann noch hören? Keine Chance. Eine Kombination ohnegleichen, vielleicht versteht ihr, warum ich so überrascht war.
So prügelte sich das Duo durch Sphären der Gesangskunst, in schwindelerregende Höhen (mir wurde wirklich schlecht), aber auch in Tiefen, die eher gebrummt klangen als gesungen. Doch als wäre dies nicht genug meinte unser achso toller DJ am Technikpult, Lautstärkeänderungen einbauen zu müssen – vielleicht war er auch einfach zu unfähig, um eine kontinuierliche Lautstärke zu halten, ich weiß es nicht.
Und dann, endlich, als unser Dreamteam geendet und unter bravem Applaus die Bühne verlassen hatte, konnte ich auch wieder aus meinem Versteck, bestehend aus Händen vor den Ohren, hervorkommen.
Die folgende halbe Stunde umschreibe ich lieber im Stakkato, da ich sonst Gefahr laufe, abzuschweifen:
Der Chor kommt wieder auf die Bühne, beginnt zu trällern, der Bass der namentlich hier nicht zu erwähnenden Band hat ein Delay von +/- 0,5 Sekunden und kann nicht spielen, die Gitarre klingt immer noch blechern.
Während sich das Keyboard durch fiese Dissonanzen schraubt, scheint der Chor in G-Dur zu singen, während das Orchester wohl in F-Dur spielt, aber immerhin klingt es gut abgerundet mit der dissonanten Klavierimitation aus Plastik.
Schließlich kommt wieder eine Solistin auf die Bühne, hinter vielversprechendem Lächeln versteckt sie das eigentliche Lied, doch dem Dirigenten scheint dies alles zu langsam, kurzerhand verkürzt er die eigentliche Pause und gibt einfach mal nebenbei den Einsatz für die Sängerin. Die, mehr oder weniger verwirrt, verpasst den Einsatz, fliegt aus der Zeile und findet für 15 Sekunden den Einsatz nicht wieder – tragisch, aber unterhaltsam.
Applaus, applaus, Manege frei und schließlich wieder Chor, Geträller, der Mann, der für die Kameras zuständig ist spielt auf seinen Monitoren mit einem kleinen Mädchen Pacman oder so etwas, Sebastian und ich lachen uns tot, und alles findet langsam ein Ende.
Round about 50 Zuschauer, 2 ½ schwenken mit Feuerzeugen, alle wippen mit und wir ziehen uns wieder die Kleidung an, die wir voller Enthusiasmus fallen ließen, um mitzutanzen.
Endlich.
Ach owei, ich meine natürlich „Leider.“
Doch was könnte den Abend denn mehr versüßen als ein Dirigent voller Tatendrang, der da sagt: „Nun, wir haben auch noch eine Zugabe eingeübt, die können wir eigentlich auch noch zum Besten geben!“
Zugabe, die: „Ein Ausruf der tobenden Menge, der nach mehr ist. Eine Zugabe wird gefordert, wenn die Darbietung Gefallen gefunden hat.“
Wir haben nicht gerufen. Wir wollten keine Zugabe. Eigentlich wollten wir nur raus und unsere an den Gaumen gepappten Zungen mit einem Getränk (günstigem Getränk, wohlgemerkt!) unserer Wahl lösen – doch nein.
So plärren die Guten noch lockere 5 Minuten weiter, die Menge ist außer Rand und Band, die Türsteher haben Mühe, die Türen geschlossen zu halten.
Irgendwann muss die Leiterin einen Weg hineingefunden haben, denn sie ist wieder da und unterhält sich ausgelassen mit einigen Damen von Welt. Klar, sie ist ja auch ausgeschlafen und sitt.
Doch auch der schönste Abend muss einmal enden. Wir verdrücken uns einfach klammheimlich und suchen das Klo auf. Nachdem wir einem kleinen Jungen die Tür gegen den Kopf geknallt (unabsichtlich) und ihn ausgeschmissen haben (absichtlich), trinken wir das Braunschweiger Rohrsystem leer und verlassen diesen herrlichen Ort so schnell, wie unsere Beine uns tragen können.
Das Fazit des Abends?
Bei der nächsten Vorstellung, die wir uns anhören werden, hätten wir gerne Logenplätze. Schön weit vorne, sodass jeder hören kann, wenn wir meckern.
Doch damit sich einige nicht aufregen, werde ich jetzt noch sagen, dass nicht alles schlecht war. Wirklich nicht. Ich habe bei „Mensch ärgere dich nicht“ gewonnen!